welcome to the next round! Nachdem wir alle genug Social Distancing hatten, wollten wir am Donnerstag auch davon mal (Sicherheits-)Abstand nehmen und hauchten dem Saumarkt-Theater in Feldkirch mal wieder vergnügt Leben ein. Blau-rot-gefärbtes Bühnenlicht, fancy Sound und das Slam-Mic mit Desinfektonsmittel daneben – das Setting zeigte: Wir sind auf alles vorbereitet. Ein Hauch von Vorfreude lag in der Luft, als die Besucher um 19 Uhr ihre Sitzplätze stürmten. Warum dieser Abend so sehnlichst herbei gewünscht wurde? Das ließen sich die Moderatoren Samuel und Ivica gleich anfangs nicht vorwegnehmen. Ganz klar: „Wir wollen hören, was der Nachwuchs mit Herz & Hirn verfasst hat. Und damit Bühne frei für die Jüngsten der Slam-Familie.“
Und da das Vorarlberger Publikum auch in Corona-Zeiten verlässlich, vielzählig und virenresistent ist, klappte das mit dem Trommelwirbel für unsere zweite U20-Slamausgabe ganz gut.
Während sich also hinter der Bühne 5 Nachwuchs-Größen warm machten, gab unser Moderator Samuel den Opener. Und was für ein passender. Mit „Willkommen an Bord“ zauberte er uns eine Einladung ins Gedächtnis, die Last der Gedanken an Land zu lassen und ein Zuhause auf der lebendigen See zu finden. Schließlich gibt es Momente im Leben, in denen man neue Wege geht. Momente, die nach einem neuen Kurs verlangen, um nicht im Sturm verloren zu gehen. Auch wenn man nur dahintreibt, den neuen Wellengang genießt und dem verheißungsvollen Rauschen zuhört. Oder… den poetischen Ausführungen des Abends. On point!
Den Anfang der ersten Runde machte die 16-jährige Lia aus Rankweil. Ihr Slam-Debüt handelte vom „To-Do-Listen-Traumata“ und lehrte uns die Furcht davor, nie Fehler zu machen. Charmant als „Controll-Freak“ geoutet, bugsierte sie mal eben den Perfektionswahn ins Eck und tauschte ihn gegen Energiesparmodus und Freiheitsgefühl ein. „Wir springen in das unbekannte Leben, in dem Fehler unsere Freunde sind.“ Mit dem Schlusssatz war es entschieden: Publikum todesverliebt, Spitzenpunkte gesichert.
Die 19-jährige Lisa aus Lustenau ließ sich von der Nummer 1 nicht einschüchtern und schenkte uns ein nostalgisches Kopfkino, während sie verträumt von ihrer Kindheit räsonierte. Eine Liebeserklärung an Wiesen-Wettrennen, kleine Wunder und eine Portion Fantasie anstatt Realität. Wir hörten zu, erinnerten uns und kamen wohl alle zum selben Schluss: es ist doch schön, ein klein wenig Kind zu bleiben.
Wie unterschiedlich Kindheit erlebt wird und was für ein Privileg schöne Kindheitserinnerungen sind, hielt uns Levin aus Nenzing vor Augen. Mit einer unvergesslichen Kindheitsgeschichte des Protagonisten Milo sorgte der jüngste Poet des Abends für eine spannungsgeladene Vorrunde. Von einem Boot voller Hoffnung zu einem düsteren Szenario in Moria. Sein bewusster, klarer Blick auf das tatsächliche Weltgeschehen und der Friedensappell an Europa brachte Levin einen 10-Punkte-Applaus ein.
Auch unsere Gastpoetin Laura aus Tirol holte das Publikum in der Nachdenkstimmung ab und hatte etwas Berührendes zum Erinnern und Vergessen zu sagen. Von Herzensmomenten und Frühstücksgeschichten. Von einer Enkelin für ihren Opa. Zwischen den Zeilen knisterten die Gefühle und blieben auch nach Lauras Bühnenabgang noch bestehen.
Mit „Ich mag es, zu vergessen“ haute der 16-jährige Elias aus Feldkirch einen Text raus über den Kater am Morgen danach. Was mit Zitronenradler-Rausch begann, endete mit Weltschmerz und doch recht klaren Ansichten über das Leben. Vielleicht kann ein Rausch ja auch die Perspektive klären.
Das Bier spielte auch im zweiten Text von Elias eine Rolle. Sein nächster Auftritt erzählte vom Volksfest, von blauen Bierköpfen und blauen Ansichten, die ausgrenzen. Und davon, aufzustehen und für andere einzustehen. Ein Wachrüttler-Moment mit Wahrheitsserum.
Da wir von knisternden Gefühlen wohl noch nicht genug hatten, setzte Laura mit ihrem zweiten Text noch einen drauf. Bei 170 Stundenkilometern durch die Nacht, qualmendem Zigarettenrauch und Herzflattern verlor man sich als Zuhörer schnell in den detailreichen Erzählungen. Ein Jahrestag-Text mit Langzeitwirkung.
Auch Levin wanderte in seinem „Schatten“-Text nachdenklich durch die Nacht, die darin schier endlos erscheint. Nachtschimmer und Gewimmer. Der Kampf gegen die Dunkelheit und die Suche nach dem Licht. Wie schön zu erkennen, dass das Licht aus dem Herzen strahlt und die Nacht doch jederzeit erhellt.
Von Nachtgeflüster zu Demaskieren. Nein, nicht im Corona-Stil sondern um das eigene Ich zu leben. Davon handelt Lisas zweiter Slam-Text. Was passiert, wenn wir uns aus den unsichtbaren Seilen befreien und im Schwäche-zeigen die Stärke erkennen?
Die Sinnsuche hatte sich wohl wie ein Lauffeuer verbreitet. Lia schloss die Runde mit den ganz großen Fragen wie „Wo find ich meinen Sinn?“ und „Welche Muster malt das Leben?“. Antwort unklar, Fantasie aktiv.
Der Abschlussapplaus galt dieses Mal dem Doppelsieg von Lia und Elias aber auch der geballten Ladung Wortkunst der Nachwuchsszene. Ein Abend, der uns wiederum zeigte, wie schön es ist dabei zu sein, wenn Texten auf der Bühne Leben eingehaucht wird.
© Laura Bücheler